Auf den Marmorklippen. Roman by Ernst Jünger
Autor:Ernst Jünger [Jünger, Ernst]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783608106015
Herausgeber: J.G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH
veröffentlicht: 2015-05-25T16:00:00+00:00
17
Es fiel uns auf, daß jene Tage, an denen uns der Spleen erfaßte, auch Nebeltage waren, an denen das Land sein heiteres Gesicht verlor. Die Schwaden brauten dann aus den Wäldern wie aus üblen Küchen und wallten in breiten Bänken auf die Campagna vor. Sie stauten sich an den Marmorklippen und schoben bei Sonnenaufgang träge Ströme ins Tal hinab, das bald bis an die Spitzen der Dome im weißen Dunst verschwunden war. Bei solchem Wetter fühlten wir uns der Augenkraft beraubt und spürten, daß sich das Unheil wie unter einem dichten Mantel ins Land einschlich. Wir taten daher gut, wenn wir den Tag bei Licht und Wein im Haus verbrachten; und dennoch trieb es uns oft, hinauszugehen. Es schien uns nämlich nicht allein, daß draußen die Feuerwürmer ihr Wesen trieben, sondern als ob zugleich das Land sich in der Form veränderte – als ob sich seine Wirklichkeit verminderte.
Daher beschlossen wir oft auch an Nebeltagen, auf Exkursion zu gehen, und suchten dann vor allem die Weidegründe auf. Auch war es stets ein ganz bestimmtes Kraut, das zu erbeuten wir uns zum Ziele setzten; wir suchten, wenn ich so sagen darf, im Chaos uns an Linnaeus’ Wunderwerk zu halten, das einen der Säulentürme stellt, von denen der Geist die Zonen des wilden Wachstums überblickt. In diesem Sinne spendete ein kleines Pflänzlein, das wir brachen, uns oft großen Schein.
Es kam noch etwas anderes hinzu, das ich als eine Art von Scham bezeichnen möchte – wir sahen nämlich das Waldgelichter nicht als Gegner an. Aus diesem Grunde hielten wir stets darauf, daß wir auf Pflanzenjagd und nicht im Kampfe waren und so die niedere Bosheit zu vermeiden hatten, wie man den Sümpfen und wilden Tieren aus dem Wege geht. Wir billigten dem Lemurenvolke nicht Willensfreiheit zu. Nie dürfen solche Mächte uns in einem Maße das Gesetz vorschreiben, daß uns die Wahrheit aus den Augen kommt.
An solchen Tagen waren die Treppenstufen, die auf die Marmorklippen führten, vom Nebel feucht, und kühle Winde sprühten die Schwaden über sie hinab. Obwohl sich auf den Weidegründen viel verändert hatte, waren uns doch die alten Pfade noch vertraut. Sie führten durch die Ruinen reicher Höfe, die nun ein kalter Brandgeruch durchwob. Wir sahen in den eingestürzten Ställen die Knochen des Viehes bleichen, mit Huf und Horn und mit der Kette noch um den Hals. Im Innenhofe türmte sich der Hausrat, wie er von den Feuerwürmern aus den Fenstern geworfen und dann geplündert worden war. Da lag die Wiege zerbrochen zwischen Stuhl und Tisch, und Nesseln grünten um sie empor. Nur selten stießen wir auf versprengte Trupps von Hirten; sie führten wenig und kümmerliches Vieh. Von den Kadavern, die auf den Weiden faulten, waren Seuchen aufgestiegen und hatten das große Sterben in die Herden eingeführt. So bringt der Untergang der Ordnung niemandem Heil.
Nach einer Stunde stießen wir auf den Hof des alten Belovar, der fast allein an alte Zeiten erinnerte, denn er lag reich an Vieh und unversehrt im Kranze der grünen Weiden da. Der Grund lag darin, daß Belovar
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